Male Captus - Bene Detentus - page 1

Male Captus – Bene Detentus
Von Eichmann zu El Masri
Ein Vortrag von Anna Oehmichen* am 28. Juni 2008 im Institut für
Medizin- undWissenschaftsgeschichte der Universität zu Lübeck
Ich werde in meinemVortrag auf die rechtswidrige Entführung von
mutmaßlichen Straftätern aus dem Ausland eingehen und in dem
Zusammenhang diskutieren, welche Folgen eine solche Entführung für
das nachfolgende Strafverfahren haben kann. Nach einer vor allem
früher sehr verbreiteten Auffassung soll die Rechtswidrigkeit der
Entführung für die Durchführung des anschließenden Strafverfahrens
gegen den Entführten keinerlei Auswirkungen haben. Die Inhaftierung
einer Person, die unrechtmäßig gefangen wurde, soll also rechtmäßig
sein („male captus, bene detentus“). Es wird aber auch die Gegenansicht
vertreten, dass eine Rechtswidrigkeit während der Entführung ein Straf-
verfolgungshindernis für das nachfolgende Strafverfahren begründet.
Einer der ersten Fälle, in denen diese Frage international diskutiert
wurde, betraf die Entführung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers
Adolf Eichmanns (vgl. Abbildung 4) aus Argentinien durch den israeli-
schen Geheimdienst im Jahre 1960. Aber das Thema hat auch heute noch
nicht an Aktualität verloren. Im Gegenteil – anlässlich des „globalen
Krieges gegen den Terrorismus“ kommt es vermehrt zu Entführungen
von Tatverdächtigen aus dem Ausland, mit der Besonderheit, dass die
Entführten nicht in den verfolgenden Staat, sondern in Drittländer wie z.
B. Afghanistan, Ägypten, Syrien oder Saudi-Arabien verbracht werden, in
denen sie für eine Zeitlang festgehalten und dabei „besonders effektiven
Verhörmethoden“ - das heißt der Folter - ausgesetzt werden. Diese
neueste Entwicklung auf dem Gebiet der Entführung von Tatverdäch-
tigen aus dem Ausland ist meines Erachtens das überzeugendste
Argument dafür, dass die rechtswidrige Entführung eines Tatverdäch-
tigen im nachfolgenden Strafverfahren gegen das Entführungsopfer ein
Strafverfolgungs-Hindernis begründen muss.
Nach einer kurzen Einführung in die Thematik werde ich am Beispiel der
Entführung Adolf Eichmanns zunächst die rechtlichen Probleme
erörtern, die sich im Zusammenhang mit der Entführung von Tatver-
dächtigen ergeben. Sodann wird die heutige Problematik im Rahmen der
Praxis der so genannten „extraordinary rendition“ – der außerordent-
lichen Überführung – besprochen, und die Anwendbarkeit der alten
Regel „male captus – bene detentus“ auf die heutigen Fälle diskutiert.
Der Vortrag schließt mit einer persönlichen Stellungnahme.
I. Einführung in die Thematik
Die Ausgangssituation ist folgende (vgl. Abbildung 2): Im Land B wird
eine Straftat begangen. Der mutmaßliche Straftäter reist anschließend
ins Land A. Nun steht die Polizei im Land B vor einem Problem. Ihre
Verfolgungsbefugnis ist grundsätzlich auf das Territorium von Land B
beschränkt. Wie kann sie des mutmaßlichen Straftäters habhaft werden,
wenn dieser sich nicht auf ihremTerritorium, sondern in Land A
befindet?
Hierfür stehen den Strafverfolgungsbehörden verschiedene Möglich-
keiten zur Verfügung, die in ihrem Aufwand, ihrer Effektivität sowie ihrer
1
1 - Anna Oehmichen,
Lübeck, 2008
1 2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,...13
Powered by FlippingBook